Es ist friedlich in der Gärtnerei. Ruhe. Wohltuende Entspannung stellt sich ein. Es gibt Zeit, Zeit die Gedanken schweifen zu lassen. Es ist bald Weihnachten, Erinnerungen werden wach, auch Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Dazu fällt mir wieder „unsere“ wunderschöne Weihnachtsgeschichte ein, welche sich vor über 100 Jahren in meinem Elternhaus zugetragen hat:
Es ist wohl eine der berührendsten Weihnachtsgeschichten in der deutschsprachigen Literatur, die Erzählung vom Landstreicher, der an einem kalten Winterabend bei meinen Grosseltern, der Emmentaler Bauernfamilie Bärtschi in Waldhaus, Unterschlupf findet und erstmals in seinem Leben an einer Christnachtfeier teilnehmen darf. «Zwölfischlegels Weihnachtsfeier» entstand 1914 in der Schriftsprache und erschien 1918 auch noch in der berndeutschen Variante.
Die Geschichte vom Landstreicher „Zwölfischlegel“ – so genannt wegen seines glockenklöppelähnlichen Körperbaus – ist weitherum beliebt und bekannt, doch weniger bekannt ist, dass deren Verfasser sie nicht aus dem hohlen Bauch heraus erfand. Simon Gfeller, der als Lehrer im Schulhaus auf der Egg in der Gemeinde Lützelflüh wirkte, bezog sich auf einen Aufsatz meines Onkels Walter Bärtschi (das Original-Aufsatzheft befindet sich im Familienbesitz) damals 14-jähriger Schüler von Simon Gfeller. Unter dem Titel «Weihnachten eines Vagabunden» schilderte der Junge, wie seine Familie, also meine Grosseltern, an Weihnachten einen verwahrlosten Tagelöhner beschenkten und beherbergten. Der Kern der Erzählung vom Zwölfischlegel ist also wahr.
In dieser rührenden Geschichte vom Landstreicher „Zwölfischlegel“ erzählt Simon Gfeller, wie ein Vagabund, der Zwölfischlegel genannt wird, ein unvergleichliches Weihnachtsfest erlebt. Er darf auf dem Bauernhof meiner Grosseltern im Stall übernachten, erhält eine Suppe und durch die Beharrlichkeit der Kinder darf er sogar den Weihnachtsbaum betrachten. Vom Christkind erhält er gar einen Bärenlebkuchen, die Kinder teilen ihre Knabbereien mit ihm und die Wirtin schenkt ihm schlussendlich ein Paar alte, aber noch brauchbare Schuhe und frischangestrickte Strümpfe. Der Knecht des Bauernhofs füllt auch noch das Schnapsfläschchen von Zwölfischlegel frisch auf. Als die Kinder und Dienstboten zur Ruhe waren und der Bauer die Türen schloss, hörte er den alten Vagabunden singen. Es mochte wohl ein Lied sein, das ihn noch die Mutter gelehrt hatte. Zwei Monate nach diesem Christfest starb Zwölfischlegel im Spital. Man fand den Bärenlebkuchen, den er vom Christkind erhalten hatte, unter seinem Kopfkissen und dieser Lebkuchen begleitete ihn auf seinem letzten Weg…
Inzwischen ist es draussen dunkel geworden, ich erwache wie aus einem schönen Traum. Mit leiser Wehmut gedenke ich dieser längst vergangenen Zeit und möchte diese wundersamen Gedanken gerne noch ein Weilchen festhalten.